Krisen und Transformationen

Krisen sind für die Erziehungswissenschaft kein neues Phänomen. Gegenwärtig tritt jedoch mit Krisen wie dem Klimawandel, der Bankenkrise, Fluchtbewegungen, der Corona-Pandemie, der Energiekrise oder den Kriegsgeschehen in der Ukraine sowie an anderen Orten auf der Welt das Disruptive, Ungleichzeitige und auch Bedrohliche besonders in den Blick. Die Zukunft der Einzelnen, der Gesellschaft und des Planeten erscheint weniger als verheißungsvoller, offener Möglichkeitsraum, sondern als begrenzt, bedrohlich und endlich. Gleichzeitig rufen Krisendiagnosen sowie Bearbeitungsvorschläge für Krisen weitreichende Transformationsprozesse auf, wie etwa ein der Klimakrise gerecht werdendes, durch Bildung und Erziehung hervorzubringendes Denken und Handeln.

Mit dem Konzept der Krise wird ein Wendepunkt innerhalb einer sich dramatisierenden Entwicklung bezeichnet, die mit der Notwendigkeit verbunden wird, schnell grundlegende Entscheidungen zu treffen sowie verändertes Handeln anzuregen und/oder einzufordern. Die transformative Kraft von Krisen gilt als ambivalent, da sie einerseits eine Rückgewinnung von Stabilität nach einem Ausnahmezustand beschreibt, andererseits aber das Krisenhafte als Chance für die Entwicklung von Neuem und damit als Grundlage dynamischer Gesellschaften konzipiert. Beiden Verständnissen nach bieten Krisen sowohl das Potential, Routinen reflexiv werden zu lassen und so Anlass zu Irritationen von (kollektiven) Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen zu eröffnen, als auch Ausgangspunkt einer sich stetig dramatisierenden Verlaufskurve zu sein, deren Bearbeitungsversuche missglücken und an deren Ende ein mögliches Scheitern steht.

Insofern die Erziehungswissenschaft selbst auf Veränderbarkeit und Entwicklung setzt, gelten in ihren fachdisziplinären Theorien Krisen als produktive Momente in Bildungs- und Erziehungsprozessen, die pädagogisch begleitet und gerahmt werden können. In auf Erziehung und Bildung bezogenen Policy-Prozessen dient die kontinuierliche Verwendung des Narrativs der Krise dazu, eine pädagogische Bearbeitung der Zukunft zu entwerfen. Dass Krisen in diesem Sinne den Pfad zum Besseren mit hervorbringen, wird vor dem Hintergrund aktueller, kollektiv geteilter Krisenerfahrungen und Veränderungsaufforderungen aber zunehmend fraglich. Angesichts der Klimakrise wird etwa gefordert, dass ein ‚Weiter wie bisher‘ nicht ausreichend sei, sondern das (Er-)Finden neuer Formen des Gemeinsam-Werdens, der Sorge und des Zusammenlebens aktueller und zukünftiger Generationen auf einem zunehmend durch menschliches Handeln gestalteten Planeten notwendig sei.

Krisen und Transformationen zum Thema des DGfE-Kongresses 2024 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu machen, meint aber nicht, die Dramatisierung von Gegenwartsdiagnosen einfach zu übernehmen. Die Problematisierung und Reflexion von Krisen haben sowohl die Sozial- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen wie auch die Erziehungswissenschaft und ihre teildisziplinären Diskurse im Besonderen bereits öfter herausgestellt. Mit dem DGfE-Kongress 2024 wollen wir an diese reflexiven Auseinandersetzungen anknüpfen, sie bündeln und weiterführen. Im Rahmen des Kongresses sollen dabei einerseits Wahrnehmungs- und Umgangsweisen mit gesellschaftlich-sozialen, institutionell-organisationalen sowie interaktiv-individuellen Krisen und Transformationen als Themen der Erziehungswissenschaft und andererseits Krisen und Transformationen der Erziehungswissenschaft selbst in den Blick genommen werden. Begriffe wie postmodern, -sozialistisch, -digital, -kolonial,
-fossil oder das Anthropozän sind Deutungsangebote, die Prozesse begreifbar machen, aber auch auf bestimmte Perspektiven verengen. Reflexiv in den Blick gerückt werden soll, wie Krisendiagnosen und Programme ihrer Bearbeitung in alltäglichem und wissenschaftlichem Wissen gebraucht und in dieses übersetzt werden, mit welchen Deutungen und Narrationen dies einhergeht und welche Diskontinuitäten, Brüche und Übergänge sich beobachten lassen sowie welche methodologisch-methodischen Herausforderungen damit verbunden sind.

In diesem Verweisungszusammenhang lokaler und globaler, aktueller und historischer Dimensionen lässt sich auch die Region des Tagungsortes Halle als ein Brennglas begreifen; die Transformationen von einer sozialistischen zu einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung wie auch die aktuellen Krisen und Herausforderungen, die ehemalige Chemieindustrie- und Braunkohleregion in einen Innovationsort für eine post-fossile Zukunft zu verwandeln, lässt sich nur als komplexer Zusammenhang lokaler und globaler Zusammenhänge begreifen.

Formate auf dem Hallenser Kongress

Im Rahmen des 29. Kongresses der DGfE sind diverse Formate zum Austausch, zur Kontroverse und zur Information vorgesehen, um das Kongressthema und weitere aktuell relevante erziehungswissenschaftliche Themen vorstellen und bearbeiten zu können.

Ein fokussierter thematischer Bezug zum Kongressthema stellt das Charakteristikum der Symposien dar. Arbeitsgruppen, Forschungs- und Themenforen sowie Posterbeiträge können dagegen in der Themenwahl freier gestaltet werden. Ad-Hoc-Gruppen, in denen aktuelle disziplin- und wissenschaftspolitische Fragestellungen und Themen bearbeitet werden, stellen einen weiteren Bestandteil des Programms dar.

Symposium

Symposien (120 Min.) haben einen direkten Bezug zum Tagungsthema und sollten maximal vier fachwissenschaftliche Vorträge umfassen, wobei mindestens ein Vortrag von einer:m Wissenschaftler:in in Qualifizierungsphasen gehalten wird. Internationalität und Interdisziplinarität sind darüber hinaus erwünscht.

Symposium von WERA-Mitgliedern

Die DGfE möchte ein Symposium von WERA-Mitgliedern aus Ländern mit einem niedrigen Bruttosozialprodukt (https://eera-ecer.de/ecer-annual-conference/registration-and-fees/low-gdp-countries/) finanzieren. Melden Sie bitte im ConfTool an, wenn Sie ein Symposium einreichen möchten, dessen Mitwirkende WERA-Mitglieder sind sowie aus Ländern mit geringem Bruttosozialprodukt kommen und senden Sie einen Finanzierungsplan (Reisekosten) an dgfe2024@uni-halle.de. Liegen mehrere Symposien vor, welche die Kriterien einer Finanzierung erfüllen und von der Programmkommission positiv begutachtet werden, entscheidet der DGfE-Vorstand über die Förderung. Bitte kontaktieren Sie bei Fragen das Kongressbüro.

Arbeitsgruppe

Arbeitsgruppen (120 Min.) sind in ihrer Gestaltung thematisch frei, ein Bezug zum Kongressthema ist jedoch wünschenswert. Die Beteiligung von Wissenschaftler:innen in Qualifizierungsphasen ist ebenso erwünscht wie die Mitwirkung internationaler Kolleg:innen.

Forschungs- und Themenforum

Forschungs- und Themenforen (120 Min.) sind in ihrer inhaltlichen wie formalen Gestaltung frei. Sie bieten nationalen wie internationalen Forschungsprojekten oder -verbünden sowie Gruppen von Wissenschaftler:innen in Qualifizierungsphasen eine Möglichkeit des fachlichen Austauschs.

Wissenschaftler:innen in Qualifizierungsphasen haben außerdem die Möglichkeit der Einreichung von Einzelbeiträgen für Themenforen, die jedoch explizit auf das Kongressthema bezogen sind.

Poster & Diskurs

Das Format Poster & Diskurs dient der Vorstellung und Diskussion von erziehungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten, -projekten und -vorhaben in einer graphisch zugänglichen und zugleich interaktiven Form. Insbesondere noch nicht publizierte Arbeiten sind hierbei von Interesse. Wir möchten ausdrücklich Wissenschaftler:innen in Qualifizierungsphasen zur Einreichung von Postern, aber auch in allen anderen Formaten auffordern. Das Format ‚Poster & Diskurs‘ wird zu diesem Kongress zusätzlich durch ein Workshopangebot zur Begleitung der Erstellung der Präsentation unterstützt.

Ad-Hoc-Gruppe

Inhalt der Ad-Hoc-Gruppen sollen v.a. aktuelle wissenschafts- und disziplinpolitische Themen sein. Abgelehnte Beiträge für andere Veranstaltungsformate können nicht als Ad-Hoc-Gruppen eingereicht werden.

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