„…Traumwelt und Zusammenbruch, Abschied und Neubeginn, Entwurzelung und Wurzelschlag“. Bildungsberichte westdeutscher Abiturient:innen aus den 1940er und 1950er Jahren
Die deutsche Nachkriegsgesellschaft der 1940er und 1950er Jahre war durch eine Vielzahl an Krisen und Transformationen gekennzeichnet. Der Zusammenbruch von Wirtschaft und Infrastruktur, Flucht und Vertreibung, Besatzungsregime und die Schaffung neuer politischer Institutionen, Entnazifizierung und Re-education bildeten nur einige der Herausforderungen auf gesellschaftlicher wie auf individueller Ebene. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene, im Nationalsozialismus aufgewachsen und sozialisiert, erlebten den alle Lebensbereiche erfassenden Wandel als biografischen Bruch mit der gleichzeitigen Aufgabe einer Neuorientierung. Wie die eigene Bildungs- und Lebensgeschichte vor diesem Hintergrund wahrgenommen, interpretiert und erzählt wurde, untersucht der Vortrag auf der Basis einer bildungshistorischen Analyse von Ego-Dokumenten westdeutscher Abiturient:innen aus den 1940er und 1950er Jahren. Bei den Quellen handelt es sich um so genannte Bildungsberichte, die mit der Bitte um Zulassung zur Reifeprüfung der Schule vorgelegt werden mussten. Schülerinnen und Schüler waren darin aufgefordert, ausführlich ihren bisherigen persönlichen Werdegang sowie ihren Bildungsweg darzulegen. Die Dokumente ermöglichen Einblicke in Diagnosen, Deutungen und Narrationen von Krisen und Transformationen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft aus der damaligen Situation heraus, also ohne dass bereits rückblickende Einordnungen und Strukturierungen eingesetzt hätten. Im Mittelpunkt stehen die im Archiv eines Hamburger Gymnasiums handschriftlich überlieferten, bislang noch nicht ausgewerteten Bildungsberichte der Abiturjahrgänge 1947 bis 1955. Ergänzend wird eine 1950 von Kurt Haß unter dem Titel „Jugend unterm Schicksal“ herausgegebene Sammlung von Bildungsberichten der Jahre 1946 bis 1949 herangezogen.